Montag, 10. Mai 2010

Die Qual nach der Wahl

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist nun endlich vorüber, die aktuelle Steuerschätzung ist auch bekannt, und ganz Deutschland hofft, dass man nun endlich erfahren wird, wie es in unserem Land weitergehen soll. Vor allem die Kulturschaffenden warten angespannt, welche Einschnitte ihnen gegebenenfalls drohen. So auch die Freischaffenden Darstellenden Künstler, denen nur in einigen wenigen Ländern wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg nach jahrelanger, mühsamer Überzeugungsarbeit einigermaßen akzeptable Fördermittel zur Verfügung stehen.
Was wird nun werden, da die Folgen der durch die Bankenbranche verursachten Wirtschaftskrise immer mehr Steuergelder verschlingen? Neben den nicht sonderlich rosigen Prognosen der Steuerschätzer kommt die Finanzhilfe für Griechenland auf uns zu. Und nun auch noch ein Euro-Stützungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro, von denen 500 Milliarden die EU-Staaten tragen werden. Wenn wie bei der Griechenlandhilfe wieder 20 Prozent der Gesamtlast von Deutschland getragen werden muss, so wären dies 100 Milliarden Euro. Hat dieser Wahnsinn noch Methode?
Wie sollen die Kommunen, die Länder und der Bund diese gewaltigen Lasten kompensieren, ohne den rigorosen Rotstift anzulegen und die Ausgaben auf das Notwendigste zu reduzieren. Es wird argumentativ das immergleiche Spiel geben, indem bei der Diskussion um die „freiwilligen Ausgaben“ die Bereiche Soziales und Kultur gegeneinander ausgespielt werden, um Kürzungen vor allem bei Letztgenanntem zu begründen.
Als erste Gruppe wird man sich die Freischaffenden Künstler zur Brust nehmen, da es einfacher ist, Projektförderungen zu kürzen als institutionelle Einrichtungen zu beschneiden. Wie weit wird man diesmal gehen angesichts der zu erwartenden finanziellen Tragweite einer Politik, die durch die Öffnung der Finanzmärkte durch den Abbau von Regulierungsmaßnahmen das Desaster mit zu verantworten haben? Wird man so unverfroren sein, durch Einsparung des Bundeszuschusses zur Künstlersozialkasse knapp 160.000 freischaffende Künstler ins soziale Abseits zu stellen und ihnen mit dem Abbau von Fördermitteln die wichtigste Existenzgrundlage zu nehmen? Eine Existenzgrundlage, die im Verhältnis zu den erbrachten Leistungen für die Gesellschaft in unserem Land viel zu gering bemessen ist.
Entscheiden werden darüber Politiker, deren Kenntnis von kultureller Bandbreite über den Horizont der institutionellen Einrichtungen wie Kunsthallen und Operhäuser selten hinausgeht. Selten trifft man politische Entscheidungsträger, die wirklich interessiert Entwicklungen in der Freien Szene verfolgen und deren Bedeutung einschätzen können. Es war schon ein „historisches“ Erlebnis, im Landesparlament von Nordrhein-Westfalen von den kulturpolitischen Sprechern ihre Einschätzung des Potentials von Freien Tanz- und Theaterschaffenden zu vernehmen (siehe Ausgabe 1-2010 der Off-Infos).


Zur Erinnerung möchte ich die wichtigsten hier noch einmal anführen:
-          es handelt sich um eine hochprofessionelle freie Szene
-          die besonders innovativen Dinge entstehen im Moment tatsächlich in dieser freien Szene
-          die freie Szene ist das kulturelle Aushängeschild des Landes NRW
-          die freie Szene bestimmt heute mehr denn je das kulturelle Profil von NRW
-          ohne das Engagement der freien Szene wäre das Landesprogramm Kultur und Schule nicht umsetzbar.
-          die Freien Tanz- und Theaterschaffenden waren häufig die ersten, die in NRW die Industrieareale für die Kunst entdeckt und zu Orten des Experiments gemacht haben.
-          diese beweglichen Systeme der Freien Szene hatten oft Vorreiterfunktion in vielen Bereichen:
bei der besonderen Widmung für junge Menschen, für das Publikum von morgen
im Aufgreifen von zentralen, gesellschaftspolitischen Themen der letzten Jahre. Sie haben sich dem Thema „Gesellschaft im Wandel“ gewidmet.
Künstlerinnen und Künstler anderer Kulturkreise wurden in die Arbeit eingebunden.
eine besonders lobenswerte und förderungswürdige Vorreiterfunktion bei der Erarbeitung von neuen Theaterformen für so genannte bildungsferne Gesellschaftsgruppen.
All die Eigenschaften, die hier aufgezählt werden und ohne weiteres auf die meisten Bundesländer übertragbar sind, belegen die Systemrelevanz und somit die Bedeutung der Freien Szene für unsere Gesellschaft; eine Szene, die diese Leistung erbringt, obwohl sie gezwungen ist, mangels ausreichender Förderung zum großen Teil in prekären Verhältnissen zu leben. Würde die Politik die viel zu gering bemessenen Fördermittel in Kommunen, Ländern und Bund nun kürzen wollen, obwohl sie eigentlich dringend angehoben werden müssten, so muss sie wissen, dass sie sich selbst des wichtigsten Elementes der Darstellenden Gegenwartskunst berauben würde. Zudem wäre die Existenz von ca. 25.000 Freischaffenden Darstellenden Künstlern, Technikern, Ausstattern und Produzenten in Frage gestellt.
In Zeiten wie diesen ist Weitsicht und Augenmaß gefragt. Es bleibt zu hoffen, dass bei den Überlegungen über drohende Sparmaßnahmen die Verhältnismäßigkeit und die tatsächlichen Auswirkungen im Vordergrund stehen.
Alexander Opitz
1. Vorsitzender BuFT

aus: off-informationen >> nr. 02/10

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