Montag, 15. Februar 2010

Editorial off-informationen nr. 01/10

Seit der Sesshaftwerdung der (noch wandernden) Stämme um 10.000 n. Chr. und der anschließenden Gründung von Siedlungen und später den Städten, wurden mit dem Aussprechen des Stadtrechtes auch Marktrechte vergeben.
Auf diesen Märkten wurde mit Tieren und Lebensmitteln, handwerklichen Erzeugnissen und aber auch mit allerlei Scharlatanerie und ähnlichen Kunststücken Lebensbekräftigendes an den Mann gebracht.
Dort traten dann in größeren Städten die ersten wandernden Theatergruppen vor dem Volke auf. Um wetterunabhängiger zu sein, machten sich geschäftstüchtige Wirte daran in ihren Gasthöfen auch Theatergruppen auftreten zu lassen.
An den sich herausbildenden Höfen wurden zu besonderen Anlässen Theatergruppen eingeladen, was auch der Repräsentation und Unterhaltung diente. Als das „auf Zuruf Auftreten“ zu oft verlangt wurde, bildeten sich Hoftheater heraus. Im Zuge der Aufklärung und Industrialisierung wollte sich das Bürgertum vom Adel kulturell und wirtschaftlich emanzipieren und gründete in Industrie- und Handelszentren Stadttheater.
Das sich dabei herausbildende Stadttheatersystem lässt dieses noch sehr gut erkennen.


Als am Abend des 9. Novembers 1918 in Berlin die Aufsichtsbeamten der Kriminalpolizei und der politischen Polizei in den Parketts der Berliner Bühnen fehlten, der Kaiser mit mehreren Eisenbahnwagons sein Reich verließ brach für viele eine Welt zusammen.
1889 gründete sich in Berlin der „Verein Freie Bühne“ um mit der Vereinsform im Rahmen einer geschlossenen Vorstellung „ Gespenster“ von Hendrik Ibsen „… nicht aus der Geschichte, nicht aus den erhabenen Beispielen der Klassiker, sondern aus den Ängsten und den sozialen Zuständen der Gegenwart ….“ Einen anderen Wahrheitsbegriff und ein anderes Theater zu verlangen.“
Dies kann man, so man möchte, in Günther Rühles „Theater in Deutschland 1887 – 1945“ nachlesen.
Literaturhinweis und ein besonderer Tipp zum nachlesen:
Wie wird das Theater im 21. Jahrhundert aussehen?
Die Finanzkrise schlägt mit ihren Auswirkungen bis auf die Kommunen durch. Die Diskrepanz von sinkenden Einnahmen und z.B. steigenden Sozialausgaben vergrößert sich. Renten- und Sozialsysteme funktionieren nur noch bedingt. Die Bevölkerung schrumpft und konzentriert sich in Wachstumskernen. Die Staatsverschuldung steigt in eine nicht mehr fassbare Dimension. Die Entschuldung ist nicht mehr vor- und darstellbar.
Das Konkurrieren um öffentliches Geld nimmt obskure Formen an. Es siegen oft Investitionsförderer ohne eine spätere solide Finanzierung der Funktion im dann fertig gestellten Gebäude zu garantieren (siehe Neubau des Kölner Schauspiels).
Der Staat erzeugt künstlich Nachfrage, um die lahmende Export­wirt­schaft am köcheln zu halten.
Stadttheater mit ihrer klassischen Ausprägung als Ensemble- und Repertoiretheater werden neben Orchestern (auch große Museen werden bedrängt) zunehmend als Kostenauslöser wahrgenommen. Ihre Tarifbindung an den öffentlichen Dienst (mühselig erstritten) verringert ausschließlich die schon kargen künstlerischen Etats. Um überregional aufzufallen, setzt ein ständiger Wettbewerb um herausragende Künstler ein (dem können sich nur Großstädte aussetzen).
Es wird in Deutschland in Zukunft neben Kasernen, Kinos und Kirchen auch Theatergebäude mit zweckfremder Nutzung geben.
Aber es gibt auch mehrere Gegenbewegungen.
Eine davon sind Freie Theater. Sie fühlen sich als ständig selbst motivierende mündige Bürger und Künstler.
Sie glauben an Erkenntnisgewinne und Erkenntnisbestätigung durch Theater. Sie glauben an Phantasie- und Gefühlskonditionierungen durch Theater. Sie glauben an das Spiel, als zentrales Element von Theater.
Spiel schärft auch den Blick für Wirklichkeit.
Und nur wer in der Lage ist, Realitäten umgekehrt auch spielerisch zu denken, wird mit den Anforderungen gerecht, die wir einfach und kompliziert - mit LEBEN - umschreiben.
Ich wünsche allen Freien Theaterschaffenden ein künstlerisch und finanziell erfolgreiches Jahr 2010!
Frank Reich
Vorstandsmitglied des Landesverbands Freie Theater Brandenburg

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen